Ausstellung „Freiburg- Dietenbach und die Stadt von morgen“

Das Bild zeigt das Publikum bei der Vernissage

Wie entsteht ein neuer Stadtteil? Wann, wo und auf welche Art und Weise wird diskutiert, entworfen und realisiert? Welche Akteur:innengruppen sind daran beteiligt? Was geht an Altem und Gewohntem verloren und was soll neu entstehen? Mit diesen und weiteren Fragen zum neuen Stadtteil Dietenbach beschäftigten sich die Studierenden des Masterprojekts 2022/23 des Studiengangs Kulturanthropologie europäischer Gesellschaften in Freiburg. 

Sie konzipierten und kuratierten die Ausstellung „Aufbrüche & Abgründe – Freiburg-Dietenbach und die Stadt von morgen“, die vom 28.10.23 – 26.11.23 in den Räumlichkeiten des Weinguts Andreas Dilger (Urachstraße 3) in Freiburg zu sehen ist. Neben der Buchveröffentlichung des Projekts haben die Studierenden hier eine vom gesammelten Objekt ausgehende Kontextualisierung vorgenommen, die die einzelnen Objekte als Artefakte einer Umbruchphase verbindet. Das Ergebnis ist eine beeindruckende Ausstellung, die Elemente des Zuhörens, Entdeckens, Wunderns und Nachdenkens vereint.

Um die verschiedenen zeitlichen Kontexte der Objekte und der empirischen Forschung zu reflektieren, ist die Ausstellung nach den Bereichen Dietenbach war, Dietenbach ist und Dietenbach wird gegliedert.

Dietenbach war…

…für viele Menschen in Freiburg lange
nur ein Feld irgendwo am Stadtrand.“ 

Foto: Lea Künne, alle Rechte vorbehalten

Für Tom, den Betreiber des inzwischen geschlossen Pferdehofs „Tom’s Ranch“, prägte Dietenbach 20 Jahre seines Lebens. Er spendete der Ausstellung einen imposanten Westernsattel, den er selbst im Jahr 2000 aus Arizona mitbrachte und auf seinem Hof im Dietenbachgebiet nutzte. Auch ein alter Grenzstein ist Relikt vergangener Nutzungen. Er wurde 2021 bei einem Einsatz der Kampfmittelsondierung entdeckt und war vermutlich bei einer Arrondierung, also der Zusammenlegung von zersplitterten Flurstücken, gesetzt worden. Seine Funktion als Grenze hat er verloren, die Planung des neuen Stadtteils sieht neue Grenzen für das Gebiet vor, die auch den neuen Besitzverhältnissen Rechnung tragen.

Der angespannte Wohnungsmarkt in Freiburg war für viele Bürger:innen eine Motivation, bei der Bürgerabstimmung auf die Frage „Soll das Dietenbachgebiet unbebaut bleiben?“ mit „Nein“ und damit für die Bebauung zu stimmen. Einen Einblick in Praxen der Wohnungssuche in Freiburg bekommen die Besucher:innen durch gesammelte Aushänge von Wohnraumsuchenden. Deutlich wird hierbei die Konkurrenzsituation der Suchenden untereinander. Manche Aushänge ähneln Kinderzeichnungen, andere zeigen die Suchenden lächelnd auf Farbfotos. Häufig werden gewünschte Lage und Größe, vor allem aber unbefristete Arbeitsverhältnisse, der Wunsch nach langfristigen Mietverhältnissen und als positiv angenommene Eigenschaften thematisiert. 

An einer Hörstation läuft in Endlosschleife ein einstündiges DJ-Set. Die elektronische Musik scheint nichts mit dem Dietenbach zu tun zu haben. Doch in dem Tunnel unter der Westumfahrung fanden lange Zeit selbstorganisierte „Tunnelraves“ statt. Weit von der Stadt und den dort beklagten Lärmauflagen entfernt, organisierten unterschiedliche Crews den Ablauf. Von Werbung auf verschiedenen Messengern über die Logistik des Equipments bis hin zum Aufräumen am nächsten Tag fanden die Veranstaltenden hier eigenständig Wege für inoffizielle Nutzungen des Dietenbachgeländes. Das DJ-Set wurde bei einem der Raves gespielt und von einem Akteur zur Verfügung gestellt.

„Dietenbach ist…

…eine Fläche am Westrand der Stadt,
circa 110 Hektar groß und vielfältig genutzt.“

Eine wilde Mischung aus Objekten verdeutlicht, dass Dietenbach aktuell eben noch kein Stadtteil ist. Viele Landwirt:innen aus der Region protestierten auf Demonstrationen gegen die Bebauung der Nutzflächen und positionieren sich bis heute gegen das Projekt. Ein Landwirt spendete ein großes Schild, das auf einer der letzten großen Demos gegen die Bebauung an einem Traktor befestigt war. Die betroffenen Landwirt:innen beklagen den Verlust von landwirtschaftlicher Fläche und damit ihrer Lebensgrundlage. Wie aus ihrer Perspektive auf dem Schild zu lesen ist, kommen mit dem neuen Stadtteil „Schwarze Zeiten für die Landwirtschaft.“

Während manche Felder noch bewirtschaftet wurden, fanden die Studierenden bereits Materialreste vom Bau einer Brücke über den kleinen Fluss Dietenbach. Die Brücke wird den neuen Stadtteil mit Freiburg verbinden und ist bereits fertiggestellt. Auch aus der Akteur:innengruppe der Projektgegner:innen stammen die Bilder von Puschel, Bungee und Red Pack. Hinter den Namen verbergen sich drei junge Eichhörnchen, die von den Besetzer:innen des Langenmattenwäldchens so getauft wurden. Immer wieder seien diese durch ihre Baumhäuser gewuselt. Das Langmattenwäldchen bedeute für die Besetzer:innen Naturerfahrung auf dem Baugelände. Sie versuchen bis heute die Fällung von Bäumen im Wäldchen zu verhindern.

Dietenbach wird…

…entstehen: […] Doch wie Dietenbach konkret
realisiert wird, bleibt beeinflusst von
vielschichtigen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen.

Für einen neuen Stadtteil benötigt man Erde und für Dietenbach mit seinem hohen Grundwasserspiegel ist der Bedarf von bis zu drei Meter hohen Aufschüttungen enorm. Schon 2021 begann die Stadt ein Erdaushublager auf dem Dietenbachgelände einzurichten, in dem der Aushub von regionalen Bauprojekten gesammelt wurde. Während dieser Aushub also „aus der Regio“ kommt, gibt es anhaltende Diskussionen über die Baumaterialien und deren Klima-Bilanzen. Der starke Preisanstieg bei Baumaterialien während der Pandemie beeinflusst auch diesen Diskurs. 

Wie Dietenbach aussehen soll, visualisiert ein dreidimensionales Stadtteil-Modell der Projektgruppe Dietenbach. Es zeigt Häuserarrangements, die einst in Dietenbach genutzt und bewohnt werden sollen. Auch Grünflächen, Straßen und andere Einzelheiten können aus der Vogelperspektive überblickt werden. Das Objekt bildet allerdings einen Planungsstand ab, der nicht mehr aktuell ist. Es wurde 2022 in der Projektgruppe durch eine aktualisierte Version ersetzt, was diese Spende an das Ausstellungsprojekt erst möglich machte. Planungsmodelle und Grafiken werden in der Kommunikation von Bauvorhaben häufig eingesetzt, da technische Zeichnungen von vielen nicht gelesen werden können und in ihnen wenig Wert auf eine ästhetische Darstellung gelegt wird.

Der Baubeginn für Dietenbach ist für Anfang 2024 geplant und wird traditionell mit einem symbolischen ersten Spatenstich begangen werden. Der hier ausgestellte Spaten ist nicht zurück aus der Zukunft, sondern symbolisiert, dass die Ausstellung zwangsläufig unvollständig ist und neue Dietenbach-Objekte hinzukommen werden. 

Ein Bauzaun dient in der Ausstellung als Partizipationsmöglichkeit für die Besucher:innen. An ihm können kleine Zettel mit eigenen Gedanken geklebt werden. „Ich will nur eine Wohnung finden“ steht auf einem und referiert damit auf einen Diskussionspunkt, der in der Ausstellung immer wieder auftaucht: Viele Interessenten waren an der Aushandlung der Nutzung des Dietenbachgebiets beteiligt. Der angespannte Wohnungsmarkt scheint bis heute untrennbar mit dem Projekt verbunden und für viele Befürworter:innen entscheidend gewesen zu sein.

Foto: Lea Künne, alle Rechte vorbehalten

Was bleibt?

Freiburg Dietenbach mag noch in der Planung sein – doch die Ausstellung zeigt, dass die Diskussion darüber von Beginn an lebhaft stattfand und weiter anhält. Als Ausstellung gestaltet, hat das Projekt hier objektzentriert verschiedene Perspektiven auf den Prozess der Planung eines neuen Stadtteils erfahrbar dargestellt. Die große Zahl an Objektspenden von Akteur:innen rund um Dietenbach verdeutlicht auch das Interesse an einer Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Projekten. Gerade die Vielfalt der dargestellten Perspektiven rund um den lokalen Konflikt machen die Ausstellung zu einem Erlebnis, das zu Diskussionen anregt.

Mehr über das Projekt und die Ausstellung finden Sie bei Instagram unter @aufbrueche_und_abgruende.